Clara, du hast etwas Besonderes erlebt. Kannst du das mal beschreiben?
Ich hab einen Schüleraustausch gemacht, bei dem ich ein halbes Jahr weggehen wollte und die Austauschpartnerin auch sechs Monate zu mir kommen sollte. Ich wollte Spanisch als Sprache nehmen und da gab es nur die Auswahl zwischen Spanien und Mexiko. Ich war in Mexiko, zwei Stunden von Mexico City entfernt.
Warst du auch sechs Monate da?
Nein, ich war nur drei Monate da, ich musste wegen Corona abbrechen.
Wie fandest du das?
Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich zurückkomme. Ich habe noch ganz viel mit meiner Gastschwester Regina geweint deswegen, aber im Endeffekt war es doch besser, denn es ist jetzt auch in Mexiko ganz schlimm, da hätte ich nicht bleiben können.
Willst du noch mal hin, um das nachzuholen?
Ich hab jetzt die Möglichkeit entweder nächstes Jahr noch mal zwei Monate zu gehen im Schuljahr oder in den Sommerferien für sechs Wochen, wenn es möglich ist.
Hattest du vorher Spanisch-Kenntnisse?
Davor nicht. Ich hatte nur ein Grundwissen, das Nötigste, aber den Rest habe ich da alles gelernt.
Wie war das „learning by doing“ denn?
Es hat sehr gut geklappt. Zuerst habe ich Englisch gesprochen, und zum Glück konnte die eine Schwester Deutsch, das hat mir zuerst sehr geholfen. Nach drei Wochen habe ich angefangen Spanisch zu sprechen, am Anfang wirklich schlecht. Aber dann kamen immer mehr Vokabeln dazu, ich habe immer mehr Sätze gebildet und dann auch mehr auf die Grammatik geachtet. Das hat gut geklappt.
Wirst du weiter Spanisch lernen?
Ich habe ein Spanisch-Nachhilfelehrerin, die kommt auch aus Mexiko, die ist Studentin, wir quatschen dann einfach. Und ich gucke spanische Medien, „Telenovelas“ und so. In der Oberstufe möchte ich Spanisch-Leistungskurs nehmen.
Hast du dir das mit dem Spanischen gezielt gesucht?
Ja, das wollte ich unbedingt.
Was hat du vorher über Mexiko gedacht, bevor du gefahren bist? Was hattest du für ein Bild von Mexiko?
Ich hatte eine sehr negatives Bild, Bandenkriminalität, Armut, also es gibt reich und arm und dazwischen gibt es nichts. Mein Bild von Mexiko hat sich aber sehr verändert, jetzt liebe ich Mexiko und es gibt kein schöneres Land, das ich mir vorstellen könnte.
Warum liebst du das Land jetzt, was ist da so toll?
Die Menschen sind sehr offen, jeder begrüßt sich auf der Straße. Ich mag das Wetter natürlich, weil es schön warm ist. Es gibt sehr viele Feiern, das Essen ist auch gut. Die Gastfreundlichkeit ist wirklich toll, ich wurde von allen Menschen angestrahlt. Ich habe mich sehr wohl gefühlt.
Hattest du vorher Kontakt mit der Familie?
Es war eine sehr gute Austauschorganisation, die haben erst mal nach einer passenden Familie gesucht. Dann hatten wir vorher zwei oder Gespräche per Skype. Dann habe ich mit meiner Gastschwester vorher auch geschrieben.
Wie waren die ersten Momente als du da ankamst, in deiner Gastfamilie?
Die ersten Tage war es sehr schwer mit der Zeitumstellung. Ich hatte aber einen sehr positiven Eindruck, die Gastfamilie hat mit Blumen auf dem Flughafen auf mich gewartet. Auch in der Schule war es sehr positiv.
Wie alt ist denn deine Gastschwester?
Sie ist genauso alt wie ich, vierzehn und hatte schon auch schon einen Schüleraustausch gemacht, einen nach Frankreich, deswegen hatte sie schon Erfahrung damit.
Wie viele Menschen gab es in der Familie?
Es war eine riesige Familie. Ich hab noch nie so eine große Familie gesehen! Die Leute waren auch alle bei den Feiern, es gab jedes Wochenende etwas zu feiern. Da hat man sich getroffen.
Wie ist das Schulsystem dort?
Es war eine Privatschule, das sind größtenteils so. Ich musste eine Schuluniform tragen. Das war am Anfang sehr komisch. Es war sehr entspannt in der Schule, sehr freundlich, man hat mich meist nur mit dem Vornamen begrüßt. Sie haben mich oft gefragt, wie es mir geht, da hab ich mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Anstrengend war, dass der Schultag sehr lang war, von 7:10 bis 15.15 Uhr. Nachmittags hatten wir dann aber Sport oder Musik.
Hast du in der Schule auch mitgemacht, was gesagt?
Es hat damit angefangen, dass ich etwas vorlesen musste. Dann wurde meine Aussprache auch immer besser. Die meisten Schüler konnten auch nicht so gut Englisch, deshalb haben wir wirklich fast immer Spanisch gesprochen.
Was hast du nachmittags mit der Familie gemacht? Haben die Hobbys, hast du daran teilgenommen?
Wir sind danach dann noch oft zum Haus der Oma gefahren und haben da den Tag verbracht. Wir sind oft in andere Städte gefahren, haben Tagesausflüge gemacht. Manchmal bin ich auch mit meiner Gastschwester Regina ins Fitnessstudios gegangen, aber nicht so häufig.
Gab es ein besonderes Erlebnis?
Das Spannendste war, als wir uns die Pyramiden der Mayas angeguckt haben, das war toll.
Wie war das dann mit Corona? Was hast du davon mitbekommen?
Erst war Corona in Mexiko gar nicht zu merken, es gab nur ein paar Fälle in Mexico City, aber dann wurden doch in Mexico City die Schulen geschlossen. Meine Gasteltern wollten nicht mehr, dass wir in die Schule gingen, deshalb waren wir dann immer im Haus. Erst als ich wieder in Deutschland war wurde es schlimm in Mexiko, da war ich schon wieder zuhause. Die ganze Familie war dann wirklich vier Monate nur im Haus.
Was hat denn deine Gastfamilie zu dem gesagt, was du vorher auch so erwartet hast, Bandenkriminalität zum Beispiel?
Ich hab oft mit meinem Gastvater über Politisches gesprochen, auch über Finanzielles. Da er ein angesehener Anwalt ist, konnte er mir viel erzählen. Es gibt viele Gegenden, die man meiden sollte in Mexiko. Zum Glück wurden wir überall mit dem Auto hingefahren. Da wo ich war, gab es gar keine Kriminalität, das war eher ein kleiner Ort. Wir sind ein paar Mal in Mexico City gewesen und da waren wir nur an den Orten, wo es sicher war. Ich hab also nicht sehr viel von Kriminalität mitbekommen, nur über das Fernsehen, da wurde schon gesagt, dass wer umgebracht wurde und von Massengräbern gesprochen.
Also richtig frei bewegen konnte man nicht, man musste immer gucken?
Ich weiß nicht, ob man es nicht konnte oder ob es einfach nicht üblich war.
Bist du angesprochen worden, weil du hellhäutig bist, blond…
Ja, (lacht), ich hab zweimal mitbekommen wie kleine Kinder zu ihren Müttern gesagt haben: „Die hat helle Haare, das kann doch nicht sein, so was Faszinierendes“. Ich hab nur einmal jemand anderen Blondes gesehen und das war`s. Zu Beginn war es schon komisch: Alle haben schwarze Haare und dann komme ich mit blonden Haaren, da bin ich sehr aufgefallen. Ich wurde schon oft angeguckt und angesprochen, und gefragt, ob die Haare echt sind. Aber ich habe mich nicht wirklich unwohl gefühlt und auch viele schöne Komplimente bekommen.
Würdest du Menschen empfehlen nach Mexiko zu reisen?
Zu reisen? Ja, doch. Ich finde, dass es unglaublich schöne Orte in Mexiko gibt und man kann die gefährlichen Orte vermeiden. Darauf sollte man aber unbedingt achten, dass man das wirklich macht.
Warst du vorher schon mal weiter weg unterwegs?
Ich war schon mal in Kuba, das war schon etwas ähnlich.
Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen so einen Austausch zu machen?
Mein Bruder hat schon mal einen Austausch gemacht, da wollte ich unbedingt auch einen machen. Die wurden aber alle erst ab 15 oder 16 Jahre angeboten und ich war zu jung. Eine Bekannte von mir hat das dann aber geschafft in dem Alter und dadurch sind wir auf die Organisation „en famille international“ gestoßen.
Du wolltest unbedingt schon so jung weg?
Ja, ich wollte mal weg von der Familie und in ein anderes Land. Ich wollte eine andere Sprache lernen.
Was war das für ein Erlebnis längere Zeit weg von der eigenen Familie zu sein?
Das hat sehr viel mit meinem Selbstbewusstsein gemacht, ich bin viel selbstbewusster geworden. Und auch selbstständiger, ich traue mich mehr. Ich kann mir immer sagen: Ich war drei Monate in Mexiko, dann schaffe ich das andere auch.
Kommt deine Gastschwester denn noch mal hier hin?
Ja, das ist geplant. Aber im Moment kann sie nicht weg, wegen Corona. Aber ich warte darauf, dass meine Gastschwester kommt.
Würdest du so was noch mal machen?
Wenn es die Chance gibt, würde ich das auf jeden Fall machen, nach Südamerika.
Was würdest du Menschen empfehlen, die auch einen Sprachaustausch machen wollen?
Vor allem offen sein für das Land, nicht Vorurteile haben. Offen auf das Land zugehen: Ich bin neu hier, aber auch mit Interesse. Wenn man einen guten Ort gefunden hat, ist das eine der größten Erfahrungen im Leben. Ich denke nur positiv.
Kannst du dir vorstellen in so einem Land zu leben?
Ich kann es mir gut vorstellen. Mexiko ist jetzt ein zweites Zuhause für mich, ich sag auch immer, dass das jetzt meine mexikanische Familie ist. Ich hab eine deutsche und eine mexikanische Familie. Diese Gastfreundschaft ist toll, sie haben mich auch als ihre deutsche Tochter bezeichnet (strahlt).
Das Interview führte Brigitte.